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Brief an die Kolleg/innen

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Liebe Kolleg/innen,

vielleicht kennen wir uns schon, vielleicht auch nicht [1].

Ich bin Grundschullehrer, beschäftige mich seit mehr als vierzig Jahren mit der Anthroposophie und der daraus abgeleiteten Pädagogik und bilde seit fast dreißig Jahren in Pädagogik aus. Es ist mir ein Herzensanliegen, das, was ich in so vielen Jahren der Forschung und Erfahrung entwickeln konnte, allen Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung zu stellen, und so wende ich mich an Sie, um Ihnen etwas von den Ergebnissen meiner Arbeit mitzuteilen und Ihnen bei Bedarf meine Hilfe und Mitarbeit (kostenlos) anzubieten. Hier sind also einige Gedanken, die ich in den letzten 30 Jahren entwickelt habe:

Warum darf die Pädagogik Rudolf Steiners mit Recht als “intuitiv” bezeichnet werden?

In seiner bahnbrechenden Schrift Die Philosophie der Freiheit beschreibt Steiner die moralische Intuition als die höchste moralische Stufe, zu der der Mensch aufsteigen kann:

     “Bei näherer Betrachtung zeigt sich sofort, wie auf dieser Stufe der Sittlichkeit Impuls und Motiv zusammenfallen, wie also weder eine vorgegebene charakterliche Veranlagung noch ein als Norm angenommenes äußeres sittliches Prinzip unser Handeln beeinflusst. In einem solchen Fall wird die Handlung nicht schematisch nach irgendeiner Regel ausgeführt, und sie ist auch nicht so, dass der Mensch sie automatisch durch einen äußeren Antrieb ausführt, sondern sie ist absolut durch ihren ideellen Gehalt bestimmt.

     Eine solche Handlung setzt das Vermögen der moralischen Intuition voraus. Wem die Fähigkeit fehlt, für den Einzelfall die jeweilige sittliche Maxime zu erfahren, der wird auch nie zum wahren individuellen Willen gelangen können.”

                                                          (Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit, Kapitel IX, Abs. 24. und 25.)

Wer diese Worte ernst nimmt, verspürt das Bedürfnis, allmählich aufzuhören, ein bloßer Vollstrecker von Vorschriften von außen zu sein, um sich selbst zu werden und “zum wahren individuellen Willen zu gelangen”. Nur wer auf dieses Bedürfnis hört, kann die Idee der moralischen Intuition zur Grundlage seines pädagogischen Handelns machen und hoffen, ein treuer Interpret des Denkens Rudolf Steiners zu werden. Wer von einer solchen Prämisse ausgeht, versteht, dass es im Sinne Steiners ist, von “intuitiver Pädagogik” zu sprechen.

Wie sollte ein Training aussehen, das die Fähigkeit zur Intuition fördert?

                                                                “Bedenke das Was, aber noch mehr das Wie!” (J.W. Goethe)

Ist die Idee der moralischen Intuition einmal gefasst, stellt sich die Frage, wie man sie bei sich selbst und bei anderen fördern kann. Die Ausbildungskurse sollten zunächst die Bedeutung einer intuitiven Pädagogik klären und zusammen mit dem begründeten Studium der Philosophie der Freiheit Übungen vorschlagen, die darauf abzielen, die Grundlagen der Intuition zu schaffen. Dies ist heute mehr denn je notwendig, um der Gefahr zu entgehen, eine Pädagogik des “So wird’s gemacht” zu verfolgen, die den Lehrern vorschreibt, was sie zu tun haben, und die, obwohl sie behauptet, von Steiner inspiriert zu sein, seiner Lehre radikal widerspricht.

Ein grundlegender Hinweis, den Steiner in Bezug auf den Weg der Selbsterziehung gegeben hat und der für einen Weg, der auf die Entwicklung der Intuitionsfähigkeit abzielt, als sehr wichtig angesehen werden kann, ist der folgende: “Lerne, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden“. Dieser Hinweis findet sich in dem Buch Wie erlangt man Erkenntinisse der höheren Welten? im Kapitel Innere Ruhe und zielt darauf ab, die Fähigkeit zu entwickeln, “die eigenen Freuden, Sorgen, Erfahrungen, Handlungen vor die Seele fließen zu lassen”, indem man sich vor sie stellt, als stünde man einem Fremden gegenüber. Wer es allmählich schafft, sich selbst von außen mit der gleichen Gelassenheit zu betrachten, mit der er auch andere betrachtet, gewinnt die Fähigkeit, eine wahrhaftigere Beziehung zur Welt einzugehen und so das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden zu lernen. Es liegt auf der Hand, dass die Fähigkeit, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden, für einen Lehrer von grundlegender Bedeutung ist, aber zusätzlich zur Betrachtung der eigenen vergangenen Erfahrungen ist es auch möglich, diese Fähigkeit zu fördern, indem man seine Aufmerksamkeit auf die Welt richtet. Man kann sich vor ein beliebiges Beobachtungsobjekt stellen und exakte und logisch verknüpfte Gedanken entwickeln, wie es die erste der sechs Nebenübungen vorschlägt, die Steiner in Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? bespricht und die als ‘Gedankenkontrolle’ bezeichnet wird.

Nehmen wir die obige Form als Beispiel und versuchen wir, sie in allen ihren Teilen genau zu beschreiben. Dazu müssen wir die passenden Begriffe für die von uns wahrgenommene Form finden. Auf diese Weise lernen wir den Unterschied zwischen Wahrnehmen und Denken, und durch diese Übung werden wir allmählich die Fähigkeit entwickeln, bei der Beobachtung der Welt das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden, anstatt bei der Beobachtung uns selber.

Das Auffinden des mit einer Wahrnehmung verbundenen Begriffs stellt eine kognitive Intuition dar (siehe Die Philosophie der Freiheit, Kapitel V, Abschnitt 25.), aus der das entsteht, was wir gemeinhin “Wissen” nennen. Dies kann durch die Berücksichtigung des gesamten sensorischen Spektrums geschehen, d. h. durch die Ausübung der Beobachtung in den verschiedenen Wahrnehmungsbereichen, zusätzlich zum visuellen Bereich. Zu diesem Zweck wird es nützlich sein, Steiners Angaben zu den zwölf Sinnen (Leben, Bewegung, Tastsinn, Gleichgewicht, Wärme, Geschmack, Geruch, Sehen, Hören, Sprache, Denken, Ich des Anderen) zu berücksichtigen und phantasievoll herauszufinden, wie wir unsere Fähigkeit zur aufmerksamen Beobachtung in den verschiedenen Wahrnehmungsbereichen ausüben können. Welches Phänomen in der Welt wir auch beobachten, welchen Sinn wir auch immer benutzen, wir können uns fragen, welche einfachen Elemente wir in dem, was wir beobachten, erkennen können. So wie wir es in der Musik mit Klängen und ihren Eigenschaften (Klangfarbe, Tonhöhe, Intensität, Dauer) zu tun haben, so können wir uns für jeden Wahrnehmungsbereich fragen, mit welchen einfachen Elementen wir es zu tun haben und welche Eigenschaften sie haben. Nehmen wir als Beispiel den Sinn für Gleichgewicht. Ich kann mich fragen, wie ich ihn unabhängig erforschen kann, um herauszufinden, mit welchen einfachen Elementen ich es zu tun habe. Indem ich selbst experimentiere, beobachte und nachdenke, kann ich verschiedene Dinge selbst entdecken, auf die mich eine erfahrenere Person als ich hinweisen könnte, was mir die Mühe erspart, sie selbst zu entdecken. Es geht nicht darum, die Erfahrungen anderer zu ignorieren und zu glauben, dass man alles selbst entdecken kann, sondern darum, zu erkennen, dass man durch die Entwicklung einer eigenen denkenden Beobachtung und einer autonomen Urteilsfähigkeit die Beiträge anderer besser zu schätzen weiß und einen Geist der Initiative und eine genaue Vorstellungskraft entwickelt, die für einen guten Lehrer unerlässlich sind. Natürlich braucht man viel mehr Zeit, um auf diese Weise vorzugehen, als wenn man eine von einem Ausgebildeter vorgegebene Übung ausführt, aber die Kräfte, die man auf diese Weise entwickelt, sind diejenigen, die es einem später ermöglichen, die wesentlichen Elemente jeder Frage zu erkennen, und die einen zur Intuition befähigen.

Kurz gesagt: Die Übung, die Welt durch denkende Beobachtung anzuschauen und nach den Begriffen zu suchen, die den beobachteten Phänomenen entsprechen, entwickelt in uns die Fähigkeit, kognitive Intuitionen zu haben, und bereitet uns darauf vor, moralische Intuitionen zu haben, die idealerweise das pädagogische Handeln eines Lehrers leiten sollten, der sich ernsthaft von Rudolf Steiners Gedanken inspirieren lassen möchte.

   In der Hoffnung, dass es mir gelungen ist, Sie zum Nachdenken anzuregen, sende ich Ihnen meine herzlichen Grüße

Fabio Alessandri

[1] Meine biografischen Notizen finden Sie unter diesem Link: https://www.triartis.it/fabio-alessandri/

Un commento

  • Anette

    Lieber Fabio,
    was bin ich froh,
    – den 2. und gefühlt richtigen Einstieg (der erste war vor ca 40 Jahren in Alfter/Alanus…mit Sabine und Hannes) in die ‘Philosophie der Freiheit’ jetzt nochmal mit DIR und der Gruppe heute machen zu können!

    und freue mich auf diese besondere Zeit ‘zwischen den Jahren’, demnächst in Bramsche!

    – daß ich diesen Artikel gefunden habe,der mir aus der Seele spricht; ich arbeite an einer Förderschule (nicht anthrop.) und habe den wunderbaren Freiraum als Künstlerin in dieser Richtung mit den KIndern dort zu “arbeiten”…
    danke für die Inspirationen!
    und alles Gute!

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